Studienreise der Bundesfachgruppe Gemüsebau nach Chile & Argentinien
Von teilweise extremen Gegensätzen geprägt war die Studienreise der Bundesfachgruppe Gemüsebau 2024, die vor allem Einblicke in den Gemüsebau in Chile und Argentinien bot. Gegensätze beim Klima, bei der Landschaft, in den Anbauverfahren und den sozialen Strukturen offenbarten sich den 29 Teilnehmern der Reise. Besonders im Gedächtnis geblieben ist wohl die offene Art der Gesprächspartner trotz der offensichtlichen Krisen in den Ländern. Während in Chile äußerlich die Krisenjahre überwunden zu sein scheinen, neben der Moderne jedoch eine große private Verschuldung herrscht, so ist Argentinien durch die aktuelle Inflation und die hohen Zölle geprägt. Auch der ansässige Gemüsebau ist von diesen Aspekten gebeutelt, so sind Pflanzenschutzmittel, Saatgut und Spezialdünger schwer zu beschaffen, wenn Auslandszahlungen seitens des Staates eingedämmt werden. Überraschend kam für die Teilnehmer der Studienreise der Wunsch eines argentinischen Anbauers nach mehr staatlicher Kontrolle. Was wir in Deutschland an Übermaß haben, fehlt in dem krisengeprägten Land. Doch erst mal von vorne:
Gestartet ist die Reise am 02. Januar in Santiago de Chile, der Hauptstadt Chiles. In und um die Hauptstadt herum leben über 7 Millionen Menschen. Damit leben etwa 40 Prozent aller Chilenen in der Hauptstadt oder in ihrer direkten Umgebung. Das hat Einfluss auf die Lebensmittelversorgung in dem schmalen Land zwischen Anden und dem pazifischen Ozean. Intensive Landwirtschaft wird vor allem im Zentraltal betrieben. Hauptexportschlager sind Tafeltrauben und der chilenische Wein, auf den die Einwohner viel Wert legen. Schon nach weniger Stunden in der Hauptstadt konnten sich die deutschen Gemüseanbauer ein Bild von dem modernen Staat Chile machen, der zu den wirtschaftlich und sozial stabilsten und auch wohlhabendsten Ländern Südamerikas gehört. Mit einer einkommensstarken Wirtschaft dank des Vorkommens wertvoller Rohstoffe wie Kupfer und Lithium sowie Eisen und der Stahlverarbeitung hat das Land einen vergleichsweise hohen Lebensstandard.

Gleich am nächsten Tag ging es dann zum Betrieb von Marco Roccas etwas außerhalb der Metropole. Der Betrieb umfasste im speziellen Knoblauch, Zwiebeln, grüne Paprika sowie die Saatgutproduktion für Sonnenblumen. Auf dem Feld konnten die Reiseteilnehmer die weitere Knoblauchaufbereitung verfolgen, wobei auffällig war, dass die Saisonkräfte größtenteils aus Bolivien und nicht aus Chile stammten. Es sei schwer Einheimische für die schwere Arbeit auf dem Feld zu bekommen, berichtet der Betriebsinhaber. Der Knoblauch wird mit Laub getrocknet und danach durch die bolivianischen Saisonkräfte geputzt und grob zum Transport verpackt direkt vor Ort auf dem Feld. Stolz berichtete Roccas von seiner Investition in Tropfschläuche, die sich bereits im Anbau bewährt haben im Vergleich zu den traditionellen Bewässerungsgräben. Alle Produkte werden für den heimischen Markt produziert, abgesetzt über den Großmarkt Lo Valledor in der Hauptstadt. Abgerundet wurde der Tag für die Reisenden mit einem Aufenthalt in der malerischen Küstenstadt Valparaiso, die sich über mehrere Hügel verteilt und einen farbenfrohen Einblick in die Kolonialzeit Chiles bietet.






Bereits in aller Früh ging es dann am nächsten Tag auf den Großmarkt Lo Valledor, dem einzigen Frischegroßmarkt in Chile mit einer Fläche von 30 ha. Der Markt ist der wichtigste private Großmarkt für den Obst- und Gemüsehandel im Land und spielt für die Erzeuger damit eine übergeordnete Rolle in der Vermarktung. Seit der Eröffnung 1968 befindet sich der Großmarkt mittig in Santiago, zentral und gut erreichbar im Ballungsgebiet gelegen. Immerhin ist Lo Valledor der drittgrößte Großmarkt auf dem Kontinent Lateinamerikas und bietet Platz für 1500 LKWs, von denen zum Teil direkt vermarktet wird. Ein interessantes Bild gaben die beladenen Fahrzeuge der Einkäufer ab. Die Reiseteilnehmer hatten es wiederum schwer, sich auf dem farbenfrohen Markt nicht zu verlieren, weil es so viel zu sehen und zu probieren gab. Doch die Qualität der Gemüse-Produkte war extrem unterschiedlich. Für den Inlandsmarkt werden auch vielfach für unseren Maßstab wenig Waren sortiert, wenig aufbereitet, man sah wenig homogene Produkte.
Fachlicher wurde es im Anschluss bei dem Besuch der landwirtschaftlichen Universität, bei dem Prof. Ricardo Pertuzé den Gemüseanbau in Chile im Vorlesungssaal präsentierte, wo sonst die Studenten seinen Seminaren lauschen. Als großes Exportland für Saatgut und als Land der Gegensätze im klimatischen Sinne stellte der Professor den Gemüseanbau in Chile dar. Die typischen Kulturen für Chile sind Tomaten, Zwiebeln, Melonen, Bohnen, Zuckermais, Paprika, Knoblauch, aber auch Salate werden für den heimischen Markt angebaut, berichtete Prof. Pertuzé. Je nach Anbauregion und Klimazone aber unterschiedlich. Einen weiteren Einblick in den chilenischen Gemüsemarkt erhielten die Reiseteilnehmer in den ortsüblichen Supermärkten, wo sie sich ein Bild von den Produkten und Preisen im Lebensmitteleinzelhandel machen konnten. Bei einem vergleichsweisen weitaus geringeren durchschnittlichen Einkommen sind die Gemüseprodukte im Markt sehr teuer für den Verbraucher. Nichtsdestotrotz herrscht in Lateinamerika durchschnittlich ein pro Kopf Verbrauch von 103 kg bei Gemüse und Kartoffeln, laut Prof. Pertuzé. Auf ein heimisches Produkt sind die Chilenen besonders stolz: ihren Wein. So durfte ein Besuch auf einem Weingut im Programm der Studienreise der Fachgruppe nicht fehlen.
Das Weingut Santa Rita ist eines der ältesten und renommiertesten Weingüter und auch das zweitgrößte Weingut Chiles. Das Weingut wurde 1880 von Domingo Fernández Concha in der Region Alto Jahuel im Maipo-Tal gegründet. Concha war ein visionärer Unternehmer, der die Qualität chilenischen Weins verbessern wollte. Er führte französische Rebsorten ein und erwarb Weinberge in verschiedenen Regionen des Landes, darunter Maipo, Aconcagua, Casablanca und Maule. Besonders beim Thema Wein wird deutlich, wie stolz die chilenische Bevölkerung auf ihre Errungenschaften und Leistungen nach den Jahrzehnten der Krisen ist. Der Höhepunkt des Tages und ein gelungener Abschluss des Reiseteils in Chile war aber nicht das Weingut, sondern die chilenische Folklore Show am Abend mit Musik und gemeinschaftlichem Tanz. Bereits am nächsten Tag ging es mit dem Reisebus über die Anden Richtung Argentinien zum zweiten Teil der Südamerika-Tour.
Die Anreise hätte nicht malerischer für die Studienreiseteilnehmer sein können, als mit dem Bus über die Anden nach Argentinien einzureisen. Bereits auf der argentinischen Seite angekommen, bot sich gut sichtbar der Berg Aconcagua als Fotopunkt an. Dieser Berg ist der höchste Berg Amerikas und der höchste außerhalb Asiens. Mit dem Bus ging es dann zügig nach Mendoza hinab, eine Provinz im zentralen Westen von Argentinien mit gleichnamiger Hauptstadt. Bereits kurz nach der Einreise wurde aber nicht nur landschaftlich deutlich, welche Unterschiede es zu Chile gibt. Die Inflation lag im Reisezeitraum im Januar 2024 bei 254,2 %, was beim Umtauschen und Geldabheben zu irritierenden Mengen an Geldscheinen geführt hat. Derzeit sind nur noch 1000 oder 2000 Pesos Scheine im Umlauf, umgerechnet sind diese etwa 2 € bzw. 4 € wert. Bedenkt man, dass Argentinien im Jahre 1950, eines der reichsten Länder der Welt gewesen ist, eine erschreckende Entwicklung. Die Provinz Mendoza lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft und vom Weinbau, was den guten klimatischen Bedingungen und der Bodenbeschaffenheit zu verdanken ist. Das Klima ist im gesamten Provinzterritorium trocken, sonnig und kontinental, mit warmen Sommern und relativ kalten Wintern sowie starken Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht.
Wasser steht durch die Nähe zu den Anden ebenfalls ausreichend zur Verfügung. Die Anbauer berichteten, dass der Wasserpegel bei 1m liegen würde, man jedoch im intensiven Gemüseanbau bereits Probleme mit den hohen Salzgehalten hätte. Über die Jahre hat sich aufgrund der günstigen Bedingungen rings um die Stadt Mendoza ein Ring zur Gemüsebauproduktion gelegt, den die Reiseteilnehmer an den folgenden Tagen besichtigen konnten. Gestartet wurde mit dem Familienbetrieb Finca El Sauce, der auf 12 ha verteilt Salate, Rucola, Basilikum und Pak Choi für den Absatz im LEH mit einem hydroponischen System produziert. Im Freiland wiederum baut der Betrieb Knoblauch und Kürbis an. Stolz ist der Besitzer auf den Tomatenanbau im Foliengewächshaus, wo auch selbst Versuche mit Sorten durchgeführt werden. Das Substrat besteht anteilig aus Reststoffen der Weinproduktion. Die Haltbarkeit der Tomaten und Kulturen allgemein spielt in Argentinien eine übergeordnete Rolle, da es mit einer Landesfläche von rund 2,8 Millionen Quadratkilometern das achtgrößte Land der Welt und nach Brasilien das zweitgrößte in Südamerika ist. Gleichzeitig leben in dem Land nur 45,5 Millionen Menschen. Die Lebensmittel müssen teilweise weite Strecken schaffen. So wurden größtenteils grüne Tomaten in den Betrieben geerntet, die dann auf der Strecke von bis zu 1000 Kilometer ungekühlt bis zum Endverbraucher nachreifen, so der Gemüseanbauer.






Beim zweiten Betrieb, der Jungplanzen produziert, nur wenige Meter entfernt, konnten die Reiseteilnehmer direkt die Veredlung von Tomaten per Hand beobachten. Mit sehr geübten Handbewegungen setzte die Bolivianerin die zwei Tomatensetzlinge zusammen. Neben der eigenen Tomaten-Jungpflanzenproduktion umfasste der Betrieb auch Salate und Kräuter für den Eigenbedarf und zum Verkauf.
Der dritte Betrieb an diesem Tag hatte wiederum etwa 80 ha satzweisen Salatanbau für Mc Donalds im Anbau. Einige Flächen konnten vor Ort besichtigt werden, andere lagen zu weit entfernt. Argentinien wie Chile haben eine große Nord-Süd-Ausdehnung und erstrecken sich über mehrere Klimazonen von den Subtropen im Norden bis zur Polarregion im Süden. Bedingt durch diese verschiedenen Klimazonen und angepasst an die jeweiligen Naturgegebenheiten unterscheiden sich die jeweiligen Anbaugebiete und die Produktion wechselt im Jahresverlauf je nach Saison in den Regionen inklusive Maschinen und Erntehelfer. Am Folgetag gab es erneut Besichtigungen in der Region Mendoza. Was besonders im Gedächtnis geblieben sein wird, ist die Huarachi Farm von Doanicio Huarachi. Seine Hauptkulturen sind Tomaten, Paprika und Melonen. Hagelschutznetze spielten in der Region eine größere Rolle. Sein Tomatenanbau umfasste allein bereits 45 ha weit verteilt mit 40 verschiedenen Sorte alles für den heimischen Frischmarkt. Nach einer längeren Führung über sein Gelände lud der Anbauer die Reiseteilnehmer zu einer Melonenverkostung ein.
Huarachi berichtete von den klimatischen Entwicklungen, die immer heißeren Sommer, der Hagel und die sinkenden Wasserstände in der Region. Viele Anbauer bestätigten, dass ein großes Manko für den Gemüsebau in Argentinien jedoch die schwer zu kalkulierenden Kostenveränderungen durch die rasante Inflation und die Verunsicherung der Bevölkerung im Land sei. Die Preise schwanken zu sehr, als dass man sich auch nur von einer Woche zur nächsten auf etwas verlassen könne. Lohnt sich die Ernte? Eine Frage, die sich viele Anbauer in Argentinien stellen. Langfristige Investitionen sind so kaum möglich. Auch wurde berichtet, dass es große Herausforderungen bei der Beschaffung von Pflanzenschutzmitteln, Düngern oder Saatgut gibt. Die Offenheit der Betriebsinhaber zu den Herausforderungen spiegelte sich bei zahlreichen Besichtigungen in den Regionen wider. Trotz der schweren Situation produzierten die meisten jedoch weiter und versuchten das Beste aus der Lage zu machen. Nach drei Tagen in Mendoza verabschiedete sich die Reisegruppe mit einer letzten Weinverkostung aus der Region und flog zur Hauptstadt Buenos Aires, von wo aus man die Gemüsebauregion in La Plata gut erreichen kann. Die Hauptstadt war für die Teilnehmer der Reise erst mal ein Kulturschock nach der eher ländlichen gediegenen Region Mendoza.
Mitten im Zentrum der Metropolregion mit 13,1 Millionen Einwohnern mussten sich die Reiseteilnehmer erst einmal neu sortieren und orientieren. Neben Bars, Restaurants, Shops und dem touristischen Leben war die Armut einzelner Menschen nicht zu übersehen, die Gegensätze schmerzlich deutlich. Während auf den Promenaden Tangotänzerinnen um Touristen warben, schliefen Menschen unter Pappkartons in Hauseingängen. Prachtvolle Bauten, stattliche Avenidas, eine ausgeprägte Café-Kultur – Buenos Aires ist eine eindrucksvolle Metropole. Fußball ist in Argentinien Leidenschaft und in Buenos Aires ist die Begeisterung besonders emotional. Doch nicht nur Kultur stand im Fokus der Reise, schon nach einer kurzen Nacht ging es für die Reiseteilnehmer auf den Großmarkt „Mercardo Central de Buenos Aires“, welcher der größte Markt in Lateinamerika ist und etwa 15 Millionen Menschen versorgt. Alle 22 Provinzen des Landes liefern und vermarkten über diesen Großmarkt. Auf dem staatlichen Markt arbeiten allein 1000 Angestellte. Direkt von dort ging es zum genossenschaftlichen Betrieb Tecnoflor, welcher ausschließlich Sämlinge und Jungpflanzen produziert mit breitem Kulturspektrum von Salaten, Kohl sowie Tomaten und Paprika.
Der fachliche Teil der Reise endete am 12. Januar mit dem letzten Betrieb Horticola S.A., einem in dritter Generation befindlichen Familienunternehmen, dass zu 100% an den LEH liefert. Ausschließlich Freilandkulturen auf insgesamt 250 ha, wovon 85 ha Gemüse, der Rest Mais und Soja ist. Salat als Hauptkultur, aber auch Rote Bete, Kohl und Mangold wurden zur Besichtigung geerntet, aufgearbeitet und verpackt. Auffallend war hier die Sauberkeit, die Ausrichtung der Felder nach der Länge der Tropfbewässerung und die höhere Technisierung als in den bisher gesehenen Betrieben. Auf Nachfrage berichtete der José, der Betriebsinhaber, dass es bisher keine Nachfrage nach Bio-Ware gibt und er daher konventionell produziert. Kritisch sieht er die fehlenden staatlichen Kontrollen der Behörden, da jeder Brunnen bohre und anbaue, wie es gerade passt. Auch die Unterbringung der Erntehelfer sei zu wenig kontrolliert. Das sorgt untereinander für ein großes Ungleichgewicht auch zwischen den Gemüseanbauern. Ein Grund für seine höhere Technisierung im Betrieb sei es auch, dass er keine Arbeitskräfte mehr so weit außerhalb finden würde. Junge Leute ziehen in die Stadt und schwere Arbeit wird nicht erledigt. Mit diesem letzten Besuch eines Gemüsebaubetriebs endete der fachliche Teil der Reise, nicht aber die Tour an sich.
Kulturelle Höhepunkte wie die große Tangoshow, die Stadtrundfahrt durch Buenos Aires und der spektakuläre Abschluss mit den Iguazú-Wasserfällen dürfen nicht unerwähnt bleiben. Es ging also noch mal mit dem Flugzeug in den Norden Argentiniens. An der Grenze zu Brasilien konnten die Reiseteilnehmer eines der aufsehenerregendsten Naturschauspiele auf dem südamerikanischen Kontinent erleben. 1986 wurden die Wasserfälle und die Umgebung zum Weltnaturerbe der UNESCO erklärt, seit 2011 gehören sie auch zu den »sieben neuen Naturwundern«, 2024 wanderten die 29 Teilnehmer über die Stege entlang der Wasserfälle. Mit diesem atemberaubenden Naturerlebnis zum Ende der Südamerikareise flogen die Teilnehmer nach 14 Tagen zurück nach Deutschland. Doch die letzte Überraschung beinhaltete der Linienflug der Lufthansa: Die Möglichkeit, den zu dem Zeitpunkt seit kurzem ins Amt gewählten Präsidenten Javier Gerardo Milei zu treffen.
Die Reise der Bundesfachgruppe Gemüsebau hinterließ sehr eindrückliche Erlebnisse kulturell und fachlich, die sicherlich noch lange nachwirken. Insgesamt eröffnete sie gründliche Einblicke in die beiden Länder, andere Klimagebiete, andere Strukturen und andere Kulturen. Und doch entstand der Eindruck, dass die Sorgen, Fragen und Probleme unseren doch ähneln und der internationale Austausch unter Berufskollegen wertvoll und bereichernd ist für alle Beteiligten.